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Dynamische Stabilität - nur scheinbar ein Paradox

Ich erlebe gerade eine große Sehnsucht nach Stabilität. Viele Menschen haben angesichts der Veränderungen in Gesellschaft und Arbeitswelt das Gefühl, dass es in ihrem Leben keine stabilen Zonen mehr gibt. Das stresst, sorgt für Unsicherheit und kann Wohlbefinden und Konzentrationsfähigkeit beinträchtigen. 


Geleitet sind die meisten Menschen dabei vom Konzept der statischen Stabilität. Dieses ist unserer westlichen Kultur wohlvertraut: ein Haus ist stabil, wenn es auf einem möglich festen Fundament steht. Je steifer, desto besser. Nichts soll sich bewegen, schwingen oder schwanken: "Stabilität durch Starre".


Es gibt aber auch das Konzept der dynamischen Stabilität. Dieses wird in der westlichen Kultur oft übersehen. Dabei kann auch Dynamik ein System stabilisieren: „Stabilität durch Beweglichkeit“.

Dazu drei Beispiele: 
  
Fahrradfahren: Jeder kennt die Erfahrung, dass es bei langsamer Fahrt schwierig wird, das Gleichgewicht zu halten. Kommt das Rad zum Stehen, können nur noch Artisten die Balance halten. Stabilität entsteht auf dem Fahrrad durch Geschwindigkeit. 
  
Auf einem Bein stehen: Stabilität entsteht hier nicht dadurch, dass der Körper komplett fixiert wird. Im Gegenteil gelingt es nur, sich länger auf einem Bein zu halten, wenn der Fuß auf dem Boden beweglich bleibt. Dann kann er die unvermeidlichen Schwingungen des Gesamtkörpers ausgleichen. Stabilität entsteht hier durch die Beweglichkeit an einem statisch zentralen Punkt.  
  
Ein Baum: Er kombiniert beide Formen der Stabilität. Die Wurzeln sorgen für eine Verankerung im Boden. Sie stehen also für die statische Stabilität. Nach oben aber wird der Baum immer flexibler. Die Krone kann mit ihrer Beweglichkeit dem Wind ausweichen. Sie steht also für die dynamische Stabilität. Beim Baum entsteht Stabilität durch die Verbindung von einem festen Fundament mit zunehmender Flexibilität nach oben hin. 
  
Wenn Menschen in ihrer Sehnsucht nach Stabilität nur das Konzept der statischen Stabilität kennen, dann ist ihr Blick auf die Wirklichkeit eingeschränkt und sie erleben sich schneller als ein Spielball der Veränderungen. Mit dem Bewusstsein, dass es auch eine dynamische Stabilität gibt, erweitert sich der Horizont. 
  
Natürlich ist es unredlich, mit der dynamischen Stabilität Veränderungsstress zu bagatellisieren. Aber als eine Erweiterung der Perspektive kann sie neue Ressource erschließen. Allein schon die Einsicht, dass mehr Bewegung manchmal zu mehr Stabilität führt, kann das Spektrum der eigenen Handlungsmöglichkeiten erweitern 
  
Und das Schöne dabei: Für diese Perspektiverweiterung muss man nicht viel reden. Einfach mal ein Bein heben und beobachten, wie es die Bewegung ist, die für Stabilität sorgt😊 


Dr. Christopher Scholtz
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